Alle Wiesen haben einen eigenen Klang, doch werden die meisten infolge des Artenschwunds immer stiller. Längst ist das Szenario vom „Stummen Frühling“, welches die Biologin Rachel Carson bereits 1963 in ihrem gleichnamigen Sachbuch prophezeit hatte, mancherorts bereits traurige Realität.

Ganzheitliches Konzept eines interdisziplinären Teams

In zehn Themeninseln und einem Klangzelt setzt sich nun die Wanderausstellung „Land.schafft.Klang“ des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege mittels auditiver Wahrnehmung künstlerisch und wissenschaftlich mit dem Thema Artenvielfalt und -verlust in Agrarlandschaften auseinander.

Am 23. März 2024 eröffnet die Ausstellung erstmals im oberbayerischen Freilichtmuseum Glentleiten (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) und wird dort bis zum 30. Juni 2024 gezeigt.

Das Motto Vielfalt gilt nicht nur für die Inhalte der Präsentation, sondern auch für die  interdisziplinäre und gleichberechtigte Zusammenarbeit bei der Realisierung des einzigartigen Projektes. Initiatorin von Land.schafft.Klang war Lioba Degenfelder, die als ausgebildete Umweltingenieurin vermittelnd an der Schnittstelle von Naturschutz und Landwirtschaft arbeitet. Kuratorisch spannt sie mit Umweltethnologin Laura Kuen den Bogen von den Erkenntnissen der Klangökologie über die lange Erdgeschichte der Wiesen bis zum Sound des Bodens. Eine Brücke von wissenschaftlicher zu künstlerischer Annäherung schlägt die freischaffende Musikerin Evi Keglmaier. Mit ihrem Requiem für verschwundene Arten, spielt sie im Dialog mit den Rufen und Gesängen von Tieren, die in Bayern nicht mehr vorkommen oder deren Bestände  bald erlöschen könnten. Die Vielfalt noch existierender Wiesenklänge wird in den Tonaufnahmen von Charles Kenwright hörbar. Sie zeigen, wie sehr menschliches Handeln Ökologie und Landschaftsklang formt: Nicht jedes Grünland klingt gleich und reiche Wiesensymphonien werden immer seltener.

Die über zwei Meter hohen, teils klingenden Bambuskonstruktionen der Gestalter Katharina Kuhlmann und Alfred Küng schrumpfen den menschlichen Blick auf Grashalm-Ebene. Der inhaltliche Perspektivwechsel vollzieht sich auch räumlich. Gestalterische Vielfarbigkeit und die comichaft anmutende Verschriftlichung von Tierlauten unterstreichen die thematische Spannung zwischen Leichtigkeit und Schwere, Faszination für die Vielfalt und akustischem Verlust.

Sensibilisierung für Biodiversität

Wind, Wasser, Tiere, Pflanzen und menschengemachte Geräusche kreieren den Klang einer Landschaft. Erst genaues Hinhören eröffnet einem die Welt unserer „Landschafts-Mitbewohner“ und gibt Antworten etwa zu Fragen, welche Arten wann aktiv sind und wie laut und vielstimmig sie sich artikulieren. Sofern sie überhaupt noch zu wahrzunehmen sind, denn mit dem Verlust artenreicher Lebensräume verlieren wir nicht nur wichtige genetische Vielfalt, sondern auch den Klang einzigartiger Natur-Orchester. Wiesen und Weiden sind für Bayern das, was die Regenwälder für die Tropen sind – wahre Paradiese der Artenvielfalt.

Artenreiche Wiesen zeigen nicht nur eine große Farbepracht, sondern auch ein breites Klangspektrum

Bedeutung von Geräuschen und Klängen

Wie für uns Menschen ist der Austausch über Lautäußerungen auch für viele Tiere wichtiger Teil ihres Zusammenlebens. Über Rufe, Laute und Gesänge teilen sie Informationen mit ihren Artgenossen, manchmal sogar mit anderen Arten. Sie sorgen so für ihr Überleben, eine erfolgreiche Partnersuche, aber auch für ein gutes Miteinander in ihrer Gemeinschaft. Natürliche Klangräume sind weder chaotisch noch unkoordiniert. Wie in der Musik, gibt es auch in der Natur tiefe, hohe, melodiöse oder perkussive Klänge. In artenreichen, intakten Lebensräumen sind viele Nischen eines Klangraums ausgefüllt. Alle Musiker sind an ihrem Platz – die Biophonie beginnt!

Plädoyer für Artenvielfalt

Während Bioakustikerinnen die Laute einzelner Tiere erforschen, analysiert die junge Disziplin der Ökoakustik den gesamten Klangteppich eines Ortes. Er kann über den ökologischen Zustand eines Lebensraums Auskunft geben. Werden Ökosysteme gestört oder übernutzt, verschwindet auch die Vielfalt ihrer Klänge. Das Klangspektrum eines Ortes wird ärmer. Alle Lebewesen sind Teil eines unendlichen Beziehungsgeflechts. Verschwindet eine Art, hat das Auswirkungen auf viele andere. Biodiversität umfasst die Gesamtheit aller Arten, ihre genetische Vielfalt innerhalb der Populationen und die Vielfalt der Ökosysteme. Sie ist Grundlage allen Lebens auf der Erde und macht lebenswichtige Vorgänge wie sauberes Wasser, fruchtbare Böden und atembare Luft erst möglich. Je höher die biologische Vielfalt, desto widerstandsfähiger sind Ökosysteme. Diese wichtigen Erkenntnisse zu vermitteln ist eines der Hauptanliegen des Teams von Land.schafft.Klang.

Text: Peter Grett
Bilder
Aufmacher: Charles Kenwright
Bild im Text: Coen Weesjes