Wien gehört zu den grünsten Millionenstädten weltweit, besitzen doch beachtliche 34 Prozent der Stadtfläche einen Schutzstatus, rechnet man den Anteil am Biosphärenpark Wienerwald hinzu, sind es sogar 40 Prozent. Im Stadtgebiet liegt ein Teil des Nationalparks Donau-Auen, befinden sich mehrere Naturschutzgebiete, ein Biosphärenpark, fünf Natura 2000-Gebiete, zwölf Landschaftsschutzgebiete, geschützte Landschaftsteile, ökologische Entwicklungsflächen und über 400 Naturdenkmäler.
Was die Biodiversität betrifft, ist Wien vor allem auch durch seine geografische Lage an der Schnittstelle zwischen Steppe, Alpen und Mittelmeer bevorzugt. Folglich lassen sich in Österreichs Hauptstadt viele unterschiedliche Landschaftstypen finden und somit eine große Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten.
Die Waldlandschaften
Als ich für einen Beitrag über heimische Orchideen nach geeignetem Bildmaterial recherchierte, wurde ich u.a. auf der großartigen Website naturlandschaftenwiens.com des passionierten Naturfotografen Adolf Schatten fündig. Dort finden sich nicht nur zahlreiche Fotos dieser faszinierenden Pflanzen, sondern die Seite bietet zugleich einen, nach Stadtbezirken gegliederten Wegweiser zu den schönsten Naturräumen Wiens.
Zu meiner Freude lud mich der ausgewiesene Experte ein, während meines Aufenthalts eine gemeinsame Erkundungswanderung in einem besonderen Waldgebiet im Westen der Stadt zu unternehmen. Doch zunächst galt es, die im westlichen Bezirk Ottakring gelegene Jubiläumswarte, einem 31 Meter hohen Aussichtsturm zu erklimmen. Nachdem wir 183 Stufen hinter uns gebracht hatten, genossen wir dank des klaren Wetters Richtung Osten einen weiten Blick über die Stadt und das Wiener Becken, Richtung Westen über den angrenzenden Wienerwald.
UNESCO-Biosphärenpark Wienerwald
Was mir beim Anblick der weitläufigen Waldungen sofort auffiel: Im Gegensatz zu vielen Städten, die von Fichten- oder Kiefernmonokulturen umgeben sind, glänzt der Wienerwald mit ökologisch wertvollen Laubmischwäldern. Nicht nur das, er ist heute das größte noch vorhandene Buchenwaldgebiet Mitteleuropas. Die vorherrschende Baumart ist folglich die Rotbuche, jedoch kommen, entsprechend unterschiedlicher Wachstumsbedingungen auch Eichen-Hainbuchenwälder, Flaumeichen-, Ahorn-Linden- oder auch Schwarzföhrenwälder vor. Da der Wienerwald auf städtischen Gebiet lediglich eine Größe von 5.000 Hektar einnimmt, sind naturgemäß nicht alle Baumgesellschaften dort zu finden.

Der Wienerwald bildet den östlichsten Ausläufer der Nordalpen. Das größtenteils bewaldete Mittelgebirge ist ein beliebtes Naherholungsgebiet für Wiener und ist heute – unter Einschluss der Randgebiete in der Millionenstadt – fast vollständig als UNESCO-Biosphärenpark ausgewiesen. Seine positiven Wirkungen auf Klima, Luft und Wasserhaushalt sind von großer Bedeutung für den Ballungsraum Wien. Deren Bewohnern bietet er einen beliebten Erholungsraum und Naturfreunden eine Vielzahl an artenreichen Lebensräumen zum Erkunden.
Nicht auszudenken, wie große Teile des Wienerwaldes heute aussehen würden, hätte nicht der Journalist, Politiker und Naturschützer Josef Schöffel in den Jahren 1870–1872 durch eine hartnäckige Medienkampagne verhindert, dass ein Viertel der Waldfläche des Wienerwalds im Zuge eines Verkaufs an einen Holzhändler gerodet wird. Der Grund für die geplante Veräußerung durch die Finanzlandesdirektion lag in der kriegsbedingten katastrophalen Budgetsituation, die man durch Privatisierungen zu verbessern trachtete. Der „Retter des Wienerwalds“ prangerte den Amtsmissbrauch der von ihm als „Staatsgüter-Verschleuderungs-Bureau“ titulierten Ministerialkommission an und wurde dafür vor Gericht gezerrt. Weil aber seine Recherchen hieb- und stichfest waren, wurden schließlich sämtliche Klagen zurückgezogen und am Ende der Naturfrevel gestoppt.
Naturdenkmal Wolfsgraben
Von der Jubiläumswarte aus waren es dann nur ein paar Autominuten in Richtung Westen bis zum eigentlichen Ziel, dem Naturwaldreservat „Wolfsgraben“ oder „Moosgraben“. Die Quellen und Bäche des Wolfsgrabens speisten von 1804-1890 die „Albertinische Wasserleitung“, durch die erstmals Trinkwasser in die Stadt geleitet wurde.
Seine forstlich nicht bewirtschaftete Kernzone umfasst eine Fläche von rund 34 Hektar. Sie beherbergt eine Reihe von geschützten Pflanzenarten wie z.B. den Echten Seidelbast und die Violette Ständelwurz (Epipactis purpurata), eine hübsche Orchidee. Die Grüne Nieswurz (Helleborus viridis), auch als Grüne Schneerose bezeichnet, ist jedoch der „Star“ des Wolfsgrabens, verdankt dieser seinen Schutzstatus als Naturdenkmal doch dem Vorkommen dieser seltenen unscheinbaren Blume. Leider konnte sie in letzter Zeit dort nicht mehr nachgewiesen werden.
Das Gebiet mit alt- und totholzreichen Buchenwäldern, vielen feuchten Kleinstandorten und Bachgräben beherbergt zahlreiche bedrohte Tierarten, so etwa Fledermäuse und höhlenbrütende Vögel wie Weißrückenspecht, Mittelspecht, Schwarzspecht und Hohltaube.
Der Wolfsgraben ist auch ein idealer Lebensraum für den Feuersalamander, der hier noch in größerer Anzahl vorkommt, was umso wichtiger ist, da die Bestände dieser Amphibienart infolge der Infektion durch einen Hautpilz (Batrachochytrium salamandrivorans) vielerorts stark dezimiert werden.

Zu den besonderen Entdeckungen meines Begleiters gehören auch zahlreiche Pilzarten, deren spektakulärste wohl der Kupferrote Lackporling (Ganoderma pfeifferi) ist. Dieser farbenfrohe Schwächeparasit erzeugt an alten Laubbäumen oder Stümpfen, bevorzugt an Rotbuchen wie im Wolfsgraben, eine Weißfäule.
Naturschutzgebiet Lainzer Tiergarten
Als Bestandteil des Biosphärenparks Wienerwald befindet sich im Westen der Stadt im Gemeindebezirk Hietzing auf einer Fläche von 2.450 Hektar der Lainzer Tiergarten. Sein Name lässt Nicht-Wiener zunächst vielleicht an einen Zoo denken, jedoch handelt es sich um ein, von einer 22 Kilometer langen Umfassungsmauer begrenztes, ehemaliges kaiserliches Jagdrevier. Heute ist das Gebiet mit seinem großen Wildbestand ein beliebtes Naherholungsgebiet der Wiener Bevölkerung. Der Lainzer Tiergarten wurde bereits im Jahre 1941 aufgrund der hohen Artenvielfalt und seinem Bestand an alten Laubbäumen zum, über sechs Tore öffentlich zugänglichen, Naturschutzgebiet erklärt. Seit 2008 besitzt der Kultur- und Naturraum zusätzlich den Status als Europaschutzgebiet. Aufgrund der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union sind bestimmte Arten und Lebensräume im Lainzer Tiergarten besonders zu schützen. Dazu gehören u.a. Magerwiesen, Zerreichen-Wald, Gelbbauchunke, Koppe und Totholz bewohnende Käferarten wie Großer Eichenbock, Juchtenkäfer, Scharlachkäfer und Alpenbock.

Naturkundlich interessierten Besuchern werden Führungen und Exkursionen zu verschiedenen Themen wie Wildkräuter, Vogelstimmen oder Fledermäuse angeboten. Apropos: Von den 29 in Österreich heimischen Fledermausarten beherbergt der Lainzer Tiergarten allein 18, darunter besondere Arten wie die Wasserfledermaus, die große Bartfledermaus und der kleine Abendsegler. Eine Besonderheit im Tiergarten-Gebiet stellt der „Johannser Kogel“ dar. Dieser Hügel mit seinem 400 Jahre alten Baumbestand wurde 1972 zum Naturwaldreservat erklärt und für Forschungszwecke seiner natürlichen Entwicklung überlassen. Von diesem Biodiversitäts-Hotspot sind 45 ha des 70 ha großen Reservats umzäunt und für Besucher nicht zugänglich. Auf den sonnigen Hängen stehen vornehmlich Eichen mit bis zu vier Meter großen Stammumfängen und Hainbuchen, auf schattigen Arealen vor allem Rotbuchen.

Wer in dieses sich selbst überlassene Naturjuwel eintauchen möchte, kann gemeinsam mit Experten der Abteilung Forst- und Landwirtschaftsbetrieb den "Urwald" im Rahmen einer Führung kennenlernen.
Der Prater, ein besonderer Naturerlebnisraum
Wenn vom Wiener Prater die Rede ist, kommen vielen Besuchern der Stadt hauptsächlich der Vergnügungspark mit Riesenrad und Achterbahn in den Sinn. Dieser „Wurstelprater“ nimmt jedoch nur einen kleinen Teil des Praters mit seiner Fläche von 513 Hektar ein. Die Areale abseits des Trubels sind als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen und weisen den Charakter einer Hartholzaue auf. Typisch für diesen Lebensraum sind viele Tümpel und Altwässer, die bei Starkregen über die Ufer treten sowie ein hoher Grundwasserstand. Durch die Regulierung der Donau ging jedoch der Auencharakter mit der Zeit immer mehr verloren. Dennoch bildet das Naturwaldgebiet des Praters mit seinem großen Totholzanteil infolge teilweise ausbleibender forstwirtschaftlicher Nutzung noch heute ein wertvolles Habitat für Flora und Fauna inmitten der Stadt. Und dort wo es zu Fällungen kommt, dienen diese vor allem dem Zweck, dass natürlich aufkommende Jungbäume besser an Licht gelangen und damit die natürliche Verjüngung der Bestände ermöglicht wird.

Trotz menschlicher Störungen ist der wilde Prater mit seinem Mosaik aus Wald-, Wasser- und Wiesenflächen eine Schatzkiste der biologischen Vielfalt. Seltene Arten wie Hirschkäfer, Grün- und Schwarzspecht finden hier eine Heimat. Die großen Mengen von Totholz und die zahlreichen Altbäume stellen wichtige Kleinsthabitate dar, auf die viele der auf der Roten Liste stehenden Insektenarten angewiesen sind.
Website A. Schatten: www.naturlandschaftenwiens.com
Naturfotografie popphackner photography: www.popphackner.com und https://wienerwildnis.at
Stadt Wien: https://www.wien.info/de/lebenswertes-wien/nachhaltiges-wien
Buchtipp: Wiener Wildnis

Wilde Tiere erobern die Großstädte. Oftmals nicht wahrgenommen, sind sie dennoch mitten unter uns. Gut so, denn von der Natur in der Stadt profitieren auch wir Menschen. Mit über 50 Prozent Grünraumanteil gehört Wien zu den grünsten Metropolen überhaupt – ausreichend Lebensraum für Reh, Fuchs, Feldhamster, Ziesel & Co. Sie alle tummeln sich an den Straßen, in Teichen, auf Kirchtürmen oder Friedhöfen. Wien ist darüber hinaus, gemessen am Anteil der Landesfläche, das an Gewässern reichste Bundesland Österreichs, und entsprechend interessant sind auch die Bäche, Teiche, Seen und Flüsse der österreichischen Hauptstadt.
Fünf Jahre lang hat sich das Fotografenteam vom Wiener-Wildnis-Buch im Großstadtdschungel auf die Lauer gelegt, um diesen wilden Wienern ein Gesicht zu verleihen. Mit technischer Raffinesse und viel Geduld entstanden Aufnahmen, die ein Bild von Wien zeigen, wie es bislang noch nicht gesehen wurde. In den Textbeiträgen erfährt man viel Wissenswertes über den aktuellen Stand der Forschung, den städtischen Arten- bzw. Umwelt-schutz, aber auch über die Entstehungsgeschichten der Fotos und des Multimedia-Projekts Wiener Wildnis.
Wiener Wildnis
Verena Popp-Hackner/Georg Popp
ISBN: 978-3-200-05352-6
Popp-Hackner Photography, 256 Seiten,
ca. 300 Farbfotos, Softcover, 55 Euro
Text: Peter Grett
Bilder:
Aufmacher: A. Schatten
Bild 1: Biosphärenpark Wienerwald/Lois Lammerhuber
Bilder 2-10: A. Schatten