Meine beiden Freunde blicken leicht verdutzt zu mir herüber. In ihren Gesichtern ist die Frage abzulesen, weshalb ich unvermittelt am Straßenrand zwischen zwei Ortschaften anhalte und sie bitte mitzukommen. Mit dem Versprechen, ihnen keinen längeren Fußmarsch in der sommerlichen Hitze zuzumuten, begeben wir uns auf den kurzen Weg entlang der Rebstöcke am nördlichen Ufer des Neusiedler Sees. Bald begleitet von den Rufen akrobatisch über uns hinweg sausender Vögel, die im Wechsel zwischen raschen Flügelschlägen und Gleitflug an große Schwalben erinnern. Rasch erreichen wir, uns bedächtig bewegend, eine kleine Beobachtungshütte am Ungerberg und blicken ohne Worte zu wechseln auf eine steil aufragende, sandig-lehmige Lösswand, um gebannt dem emsigen Treiben bunt schillernder Vögel vor ihren Brutkammern zuzusehen. Das Fernglas kreist beständig zwischen unseren Händen, so wenig kann sich jeder von uns sattsehen an den faszinierenden Bienenfressern, die man mit ihrem bunten Federkleid leicht für Tropenvögel halten könnte.

Die bunten Bienenfresser – ein Highlight für alle Vogelbeobachter

An dieses besondere Erlebnis denke ich oft und gerne zurück, gerade auch, weil ich die Begeisterung mit meinen Begleitern teilen konnte. Heute würde man vielleicht sagen, wir hätten einen spontanen Birding-Trip unternommen.

Vogelbeobachtung liegt im Trend

Das Beobachten, Bestimmen, Fotografieren von Vögeln und das anschließende Dokumentieren des Erlebten blieb lange auf eine überschaubare Gruppe von Hobby-Vogelkundlern und Ornithologen beschränkt. Die Gründe, weshalb sich Menschen für die Vogelwelt interessieren, sind vielfältig. Manchmal ist es ein Schlüsselerlebnis, etwa wenn sich ein gefiederter Besucher am Futterhäuschen blicken lässt, der besonders oder anders aussieht als die bekannten Spatzen oder Finken und dadurch die Neugierde seiner Beobachter weckt. Wird dann, um sich kundig zu machen, ein Bestimmungsbuch angeschafft, ist oft der nächste Schritt getan, sich näher mit der Materie zu befassen.

Aber warum interessieren sich neuerdings immer mehr naturkundliche Laien für die Vogelbeobachtung, das „Bird Watching“? In Zeiten des Internets lässt sich der Wissensdurst schneller als über Bücher befriedigen, und beim Surfen auf entsprechenden „Orni“-Seiten stoßen manche dann vielleicht auf Listen, in denen sie ihre Beobachtung eintragen können, oder auf Social-Media-Gruppen von gleichgesinnten Laien und Fachleuten. Dort ist es möglich, Fotos zu zeigen oder Beobachtungen zu schildern, um Hinweise auf eine bestimmte Art zu erhalten. Somit ein niederschwelliges Angebot, sich mit anderen auszutauschen ohne die Befürchtung haben zu müssen, möglicherweise von Experten belächelt zu werden, wenn man etwa das Bild einer profanen Kohlmeise einstellt. Andere technische Innovationen sind ebenfalls für das wachsende Interesse an der Vogelbeobachtung verantwortlich. Da ist zum einen das Angebot an immer leistungsstärkeren optischen Geräten wie Digitalkameras, Objektiven und Ferngläsern, zum anderen bieten Apps zur Vogelstimmenerkennung eine gute, wenn auch nicht immer perfekte Hilfestellung bei der Artbestimmung. Auch die beiden jährlich stattfindenden und von den Medien promoteten Aktionen „Stunde der Wintervögel“ und „Stunde der Gartenvögel“ von NABU (Naturschutzbund Deutschland) und LBV (Landesbund für Vogelschutz in Bayern), bei welchen die Bevölkerung gebeten wird, ihre Beobachtungen zu melden, beleben das Thema „Birding“.

Besonders der fortschreitende Verlust an Lebensräumen und die Chemisierung der Intensiv-Landwirtschaft tragen zu einem dramatischen Rückgang der Bestände selbst ehemals häufiger Spezies bei. Immer mehr Vogelarten gelten heute als gefährdet und stehen auf der Roten Liste. Und gerade diese Seltenheiten aufzuspüren, stellt einen Motivationsschub für viele „Birder“ dar, der Reiz des Besonderen befeuert bei manchen eine regelrechte Sammelleidenschaft, leider nicht immer geprägt von Rücksichtnahme auf die Tiere.

Die Kehrseite der Medaille

Birding macht, zumal als Gemeinschaftserlebnis und im Austausch mit Gleichgesinnten, großen Spaß, es wirkt der Entfremdung des Menschen von der Natur entgegen. Das Beobachten von Vögeln kann auch die Basis dafür schaffen, dass sich die „Infizierten“ für den Artenschutz engagieren. Ganz im Sinne des umweltpädagogischen Leitsatzes „Nur was man kennt und schätzt, wird man auch schützen“.

Ein Muss: Birding nur von Wegen oder Beobachtungshütten aus! Dank guter Ferngläser lassen sich auch von dort spektakuläre Szenen erleben.

Dennoch beobachten Experten wie Manfred Siering, der Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, die neuesten Entwicklungen durchaus mit gemischten Gefühlen. Sein kritisches Urteil bezieht sich dabei weniger auf extreme Leidenschaften wie etwa das „Speedbirding“, bei dem in kurzer Zeit möglichst viele Arten dokumentiert werden, um damit persönliche Rekorde aufzustellen oder Konkurrenten zu übertrumpfen. Es ist vielmehr die allgemeine Entwicklung, die ihm Sorge bereitet die Problematik zunehmender Störungen der Natur gerade durch Natursuchende. So berichten immer mehr Ranger und Betreuer von Schutzgebieten über einen Verlust von Respekt vor den Aufsichtsorganen sowie der Weigerung, sich an Regeln und Gebote zu halten. Es häufen sich Meldungen über das Ignorieren von Wiesenbrüterschutzmaßnahmen durch Hundehalter, von Kiesbanksperrungen durch Badende und Bootsfahrer und über durch Auwälder rasende Mountainbiker. Doch ist es nicht allein der zunehmende Freizeitdruck, der auf den Habitaten lastet, auch uneinsichtige und rücksichtslose „Birder“ verschärfen das Problem. Siering erzählt, dass sich einige Hobbyfotografen speziell in der Pandemiephase mit hochwertigen Kameras eingedeckt haben und nun rücksichtslos versuchen, besonders spektakuläre und seltene Arten vor die Linse zu bekommen. Nicht selten verursachen sie dabei Störungen, die immer wieder zur Aufgabe von Bruten führen. Es scheint sich in manchen Kreisen offensichtlich eine Art Trophäensucht breitgemacht zu haben, bei der das eigentliche Interesse an den Objekten der Begierde und deren Wohlergehen nicht die oberste Priorität darstellt.

Regeln einhalten!

Wie unser obiges, „historisches“ Beispiel mit den Bienenfressern belegt, ist es ein beglückendes Erlebnis, insbesondere eine seltene Art durch das Fernglas beobachten oder fotografieren zu können. Wichtig ist dabei aber stets, ausreichenden Abstand zu halten und lautes Sprechen zu vermeiden. Nicht nur in Schutzgebieten ist es oberste Pflicht, auf den Wegen zu bleiben oder von speziellen Beobachtungsständen die Vögel ins Visier zu nehmen.

Von hohen Beobachtungstürmen aus lassen sich im Nationalpark Hohe Tauern die „Könige der Lüfte“ erspähen …
… wie etwa der imposante Bartgeier mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,90 Metern.

Auch hier verbieten sich hektische Bewegungen oder das Tragen von farbenprächtiger Kleidung. Keinesfalls sollten Tiere angefüttert werden, und beim Fotografieren gilt es, Blendungen zu minimieren.

Die Achtung vor unseren Mitgeschöpfen, die Freude am Birdwatching, sollten stets im Vordergrund stehen, fotografische Trophäensucht und Konkurrenzgehabe hingegen nicht zum Leitmotiv werden.

Von der Vogelstimmenwanderung bis zu geführten Touren und Exkursionen vermitteln Vogel- und Naturschutz-Verbände, Gebietsbetreuer und Ranger großartige Birding-Erlebnisse. Der Vorteil solcher Angebote: Die Führer*innen kennen die besten Beobachtungsplätze und liefern zudem wichtige Informationen über einzelne Arten und ihre Lebensräume.

Ausgewählte Birding-Hotspots

Auch wer sich lieber alleine auf die Pirsch begeben möchte, findet gerade an offiziellen Beobachtungspunkten von Naturschutzgebieten oder Nationalparks großartige Motive. Hier exemplarisch ein paar Beispiele:

Schon immer war das Gebiet des heutigen österreichisch-ungarischen Nationalparks Neusiedler See/Seewinkel ein Anziehungspunkt für Ornithologen und Hobby-Vogelkundler aus aller Welt. Die breiten Schilfgürtel des Steppensees sind Refugien seltener Arten wie Bartmeise oder Löffler, die vielgestaltige Landschaft der Zitzmannsdorfer Wiesen am Ostufer mit ihrem Mosaik aus Flachmoor-Flächen, Salzsümpfen, Feuchtwiesen und Halbtrockenrasen bieten z. B. Uferschnepfen, Blaukehlchen, Sperbergrasmücken, Sumpfohreulen oder Wiesenweihen ideale Lebensräume. Und sie sind das bevorzugte, weil insektenreiche Jagdrevier „unserer“ Bienenfresser. An den rund 40 kleinen und größeren, leider durch immer längere Trockenperioden zunehmend austrocknenden, salzhaltigen Seen, „Lacken“ genannt, lassen sich Rotschenkel, Brandgänse, Säbelschnäbler oder Stelzenläufer beobachten.

Von den Beobachtungspunkten um den Neusiedler See aus können „Birder“ zahlreiche seltene Arten wie etwa Säbelschnäbler entdecken

Die Nationalparkverwaltung unterbreitet den an der Vogelwelt des Gebiets Interessierten eine Reihe von Informations- und Bildungs-Angeboten. Dazu gehören neben geführten Touren eine Ausstellung im Nationalparkzentrum, spezielle Karten und die „Bird-List Neusiedler See“-App, die über alle in der Region vorkommenden Vogelarten Auskunft gibt, die besten Plätze zur Beobachtung ausweist und zudem die Möglichkeit bietet, die persönlichen Beobachtungen zu speichern und mit anderen zu teilen.

Rund 50 Kilometer nördlich des Bodensees liegt im Kreis Biberach Südwestdeutschlands größtes Moor, das Federseemoor. Es beherbergt nicht nur bedeutende Brutvorkommen interessanter Arten, sondern ist auch ein wichtiges Rastgebiet für Zugvögel. Großflächige Renaturierungen und gezieltes Habitatmanagement seitens des Staatlichen Naturschutzes und des NABU verbesserten die Bedingungen für viele Tier- und Pflanzenarten. Das Federseeried ist Europa-Reservat und als FFH- und Europäisches Vogelschutzgebiet ausgewiesen.

Vom Federseesteg aus lassen sich die Bewohner des Schilfgürtels beobachten

Am schönsten ist es in den stillen Morgenstunden auf dem Federseesteg, der mitten durch den breiten Schilfgürtel zu einer Plattform im See führt. Nur wenige Schritte hinter dem Federseeparkplatz beginnen die Streuwiesen – und damit die Lebensräume von Wiesenbrütern wie Feldschwirl und Feldlerche. Nicht weit vom Steg entfernt kann man bisweilen den Gesang des Braunkehlchens hören. Die Tiere haben sich an die Menschen auf dem Holzsteg gewöhnt und zeigen geringe Fluchtdistanzen – ideal für Vogelbeobachter.

Zu jeder Jahreszeit finden sich im Federseemoor lohnenswerte Fotomotive, die von den öffentlichen Wegen, Stegen und Aussichtseinrichtungen eingefangen werden können. Sei es im Herbst eine Begegnung mit den agilen Bartmeisen oder bei einem morgendlichen Ansitz auf der Kanzel im südlichen Federseeried, begleitet von kreischenden Flussseeschwalben, den Ausflug der Kornweihen aus ihren Schlafplätzen zu erwischen.

Mit etwas Glück lassen sich sogar die hübschen Bartmeisen vom Steg aus beobachten

Auch im Nationalpark Hohe Tauern, der sich über die drei österreichischen Bundesländer Salzburg, Tirol und Kärnten erstreckt und 15.000 Tierarten beheimatet, gibt es großartige Birding-Hotspots, oftmals in Form großer Holztürme, von denen aus, mit Blick auf Schuttfluren, steile Felswände, Almen und Waldgebiete, sich so manche spektakuläre Rarität entdecken lässt.

Im wildromantischen Krumltal, wo 2010 die erste erfolgreiche Bartgeierbrut Österreichs nach der dortigen Wiederansiedlung verzeichnet werden konnte, gibt es den Themenweg „Könige der Lüfte“, an dem Infotafeln Wissenswertes über diese faszinierenden Greifvögel vermitteln. Neben Bartgeiern lassen sich mit etwas Glück und Fernglas aber auch weitere spektakuläre Arten wie Steinadler, Gänsegeier, Felsenschwalben oder der seltene Mauerläufer beobachten.

Ranger führen im Nationalpark Hohe Tauern Hobby-Ornithologen an geeignete Beobachtungsorte

Zu Zeiten des Vogelzugs können vor allem in norddeutschen Gefilden zahlreiche, wenig bekannte Vogelarten entdeckt und bestimmt werden. Das NABU Naturzentrum Katinger Watt, im gleichnamigen EU-Vogelschutzgebiet gelegen, bietet regelmäßig öffentliche Führungen mit Schwerpunkt Ornithologie an.

Daneben ermöglichen Beobachtungstürme und Aussichtspunkte Blicke auf die Brutvogelwelt u. a. mit Wiesenpieper, Sand- und Seeregenpfeifer, Austernfischer, Uferschnepfe oder Schnatter-, Löffel- und Knäkente.

Unter den Rastvögeln befinden sich während des Frühjahrs- und Herbstzuges zahlreiche arktische Limikolenarten, und regelmäßig tauchen im Gebiet auch Raritäten wie Sumpfläufer, Graubruststrandläufer, Teichwasserläufer oder Weißflügelseeschwalbe auf.

Buchtipp

Hannes Bonzheim
Matthias Futterer
Die magische Welt unserer Vögel
Die heimische Vogelwelt ganz neu entdecken und schützen

Umfang: 384 Seiten mit circa 450 Fotos
Format: 21 cm x 26,5 cm, Pappband
Preis: 42,00 € (DE) / 43,90 € (AT) / 55,50 SFr (CH)
ISBN: 978-3-96747-079-6
Erscheinungsdatum: Dezember 2022

Der junge Vogelenthusiast und ICARUS-Botschafter der Max-Planck-Gesellschaft Hannes Bonzheim und der Naturfotograf Matthias Futterer begeistern mit erstaunlichen wissenschaftlichen Fakten und einzigartigen Fotos, die unsere Vögel in einem ganz neuen Licht zeigen.

Faszinierende Fotos, interessante Vogelbeschreibungen, spannende Geschichten, inspirierende Projekte und erstaunliche Fakten – mit diesem abwechslungsreich gestalteten Bildband ist es ein Vergnügen, in die großartige Welt unserer heimischen Vögel einzutauchen. Hier verbinden sich persönliche Anekdoten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hier bekommt man praktische Tipps und Empfehlungen an die Hand, die einen nach dem Schmökern direkt raus in die Natur ziehen und zur Vogelbeobachtung animieren. Die beiden Vogelexperten und Fotografen Hannes Bonzheim und Matthias Futterer stellen in Die magische Welt unserer Vögel über 100 Vogelarten vor, die in Deutschland zu beobachten sind, wie der ausdrucksstarke Steinkauz oder der kunterbunte Bienenfresser.

Zum Autor:

Hannes Bonzheim ist 18 Jahre alt und schon ein fantastischer Naturfotograf und Vogelkenner. Der Naturschützer und ICARUS-Botschafter des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie gewann 2019 seinen ersten Naturfotowettbewerb.

Matthias Futterer ist Hobbyfotograf. Viele seiner faszinierenden Fotos entstehen am Kaiserstuhl. Besonders gern lichtet er Vögel und Insekten ab. Bei Letzteren bevorzugt er die Makrofotografie, um kleinste Details deutlich sichtbar zu machen.

Text: Peter Grett

Bilder:
Aufmacher: Stefan Leitner
Bild 1 Bienenfresser: Hannes Bonzheim
Bild 2 Wiedehopfe: Hannes Bonzheim
Bild 3 Frau mit Mädchen: Ramona Waldner
Bild 4: Bartgeier: cNPHT Rieder
Bild 5 Säbelschnäbler: Frank Wengerodt
Bild 6 Federseesteg: NABU-Katrin Fritzsch
Bild 7 Bartmeise: NABU-Klaus Mendla
Bild 8 Ranger-Führung: Stefan Leitner
Bild 9  Beobachtungsstand innen: Monika Povel
Bild 10. Uferschnepfe: Emil Tewald