Städte sind heute nicht dafür bekannt, der bevorzugte Standort von Pflanzen zu sein. Und doch gibt es sie hier auf jeden Schritt und Tritt. Wo immer sich ein wenig Erde zwischen Pflastersteinen, an Hauswänden, auf Baumscheiben, unter Hecken und an Geleisen findet, sind sie – die allzu oft Übersehenen – da.

Das trifft auch auf die Stadtpflanze des Jahres 2025 zu, die breitblättrige Stendelwurz (Epipactis Helleborine), oft auch Ständelwurz geschrieben. Sooft sie übersehen wird, sooft wird auch nicht erkannt, dass es sich dabei um eine Orchideenart handelt. Und um eine, die ganz anders ist als andere Orchideen. Zwar wächst sie auch im Wald, auf Wiesen und in Gärten, aber weite Verbreitung hat sie als bescheidener Farbtupfer im gepflasterten Raum. Und sie geht auch nicht im Bestand zurück, sondern vermehrt sich sozusagen frohen Mutes. So ist sie zur regelrechten und einzigen Stadt-Orchidee geworden, der Grund, weswegen sie von den Mitgliedern des Bochumer Botanischen Vereins zur Stadtpflanze des Jahres 2025 erkoren wurde.

Wenn der Standort gute Bedingungen aufweist, kann die Pflanze über einen Meter hoch werden

Morphologie

Vom Habitus her ist die Pflanze sehr variabel, oft bleibt sie recht klein, kann aber auch über einen Meter Höhe erreichen. Die eiförmigen und breiten Blätter mit deutlicher Äderung befinden sich nahe der Basis, nach oben hin werden sie zunehmend schmäler. Der Blütenstand kann bis zu 80 einzelne Blüten aufweisen und nimmt oft den Großteil der gesamten Pflanzenlänge ein. Eine Besonderheit: Der Trieb ist im Knospenzustand abgewinkelt, als sei er geknickt und richtet sich erst beim Aufblühen auf. Die Einzelblüten sind in Form und Farbe sehr variabel. Meist haben sie eine grünliche oder grünlich weiße Grundfarbe und sind mehr oder weniger intensiv braun-rot bis violett-purpur überlaufen. Oft wirkt die Pflanze stellenweise fast schwarz, weil sie sehr gerne von Blattläusen befallen wird.

Die Blüte, Anziehungspunkt vor allem für Wespen

Der Trick mit den Raupen

Die Stendelwurz ist ein Spätblüher, sie vermehrt sich vor allem über die Bestäubung durch Insekten, insbesondere Wespen, denen sie über Duftstoffe die Anwesenheit von Raupen des Kohlweißlings, mit denen diese ihre Brut ernähren, vorgaukelt. Dieser „raffinierte Betrug“ ist typisch für sogenannte Beute-Täuschblumen, ein eher seltener und erst kürzlich entdeckter Kniff eines Vertreters der heimischen Flora.

Vorkommen

Die Samen reifen in länglichen Kapseln heran, die längsseitig aufreißen und ihre Fracht dem Wind übergeben. Ihre Nährstoffe erhält die Stendelwurz über die Einbindung in die Symbiose von Bäumen mit Mykorrhiza-Pilzen. Was die Orchidee nicht mag, sind Moore und sumpfige Wiesen. Ihr wird es leicht zu feucht, ansonsten hat sie kaum Ansprüche an die Bodenqualität, sie ist in ihrem Vorkommen fast weltweit verbreitet. Die Bestände sind nicht gefährdet, aber zunehmende Trockenheit im Zuge des Klimawandels macht ihr doch zu schaffen. Ausgegraben und gepflückt werden der Pflanze ist nicht erlaubt, sie fällt unter die Schutzbedingungen für Orchideen.

Standort zwischen Pflastersteinen an der Hauswand

Wer die Augen offen hält auf seinen täglichen Wegen, wird der breitblättrigen Stendelwurz beinahe täglich begegnen.

Text: Werner Köstle
Bilder: Aufmacher: Creative Commons  CC BY-SA 4.0 Blumen-Marcus
Textbild 1: Creative Commons CC BY-SA 4.0 Joachim Lutz
Textbild 2: Creative Commons CC BY 2.5 Bernd Haynold
Textbild 3: Bochumer Botanischer Verein, Armin Jagel